Warum ist es nachts dunkel?

Fritz und Peter saßen abends vor ihrem Glas Wein und sinnierten vor sich hin. Und unversehens ergab sich dabei folgendes Zwiegespräch:

F.: Warum ist es nachts dunkel?

P.: Nachts ist es dunkler als draußen!

F.: Nein ernsthaft. Warum ist es nachts dunkel?

P.: Das ist - ich will nicht sagen eine dumme, aber jedenfalls eine simple Frage! Jedes Kind weiß doch: Da die Erde rotiert und zwar in 24 Stunden einmal, so ist in jedem Augenblick ihre eine Hälfte der Sonne zugekehrt - von der sie ihr Licht empfängt - und die andere Hälfte hat Nacht.

F.: Es ist stets genau die Hälfte der Erdoberfläche hell und die andere dunkel?

P.:Natürlich - von der Übergangszone abgesehen, in der Dämmerung herrscht. Das ergibt sich doch aus der Kugelgestalt. Von welcher Seite immer eine Kugel angeleuchtet wird, stets liegt genau die Hälfte im Licht.

F.: Warum sind dann nicht Tag und Nacht stets genau gleich lang, nämlich 12 Stunden? Jetzt ist es 19 Uhr und schon lange dunkel und morgen früh um sieben wird es immer noch dunkel sein?

P.: Jetzt im Winter - ja. Die Ungleichheit rührt daher, dass die gedachte Achse der Erdrotation mit der Ebene, die durch die Bahn der Erde um die Sonne bestimmt ist, einen Winkel bildet, rund 66� Grad. So ist in einem Teil die Nordhalbkugel länger beleuchtet, und ein halbes Jahr später die Südhalbkugel.

F.: Ganz klar ist mir dies aber noch nicht.

P.: Stelle dir zwei hypothetische Fälle vor. Fall 1: Die Erdachse stünde genau senkrecht auf die Ekliptik, auf deutsch die Rotationsachse steht genau senkrecht in der Umlaufsebene. Dann wäre es in der Tat so, dass praktisch jeder Ort der Erde das ganze Jahr hindurch genau 12 Stunden Tag und 12 Stunden Nacht hätte.

F.: Ja - vorausgesetzt, dass wir das was wir einen Tag nennen, an der Sonne orientieren und nicht an weiter entfernten Fixsternen.....Oder?

P.: Jetzt das andere Extrem! Fall 2: Die Erdachse läge genau in der Ebene der Ekliptik, also waagrecht in der Umlaufsebene und die Rotationsdauer wäre die gleiche. Auf einem solchen Planeten gibt es an den Polen Gebiete, in denen die Sonne bis zu einem halben Jahr ohne Unterbrechung scheint. Die Zone der unterbrochenen Besonnung nimmt von Tag zu Tag etwas ab, während auf der Gegenseite, die Zone, in der dauernd Nacht herrscht, diese auch immer weiter abnimmt. Zweimal im Jahr aber kommt es zu einer Tagundnachtgleiche für die gesamte Oberfläche des Planeten.

F.: Schon gut. Unsere Realität liegt zwischen diesen beiden Extremen. Akzeptiert! Doch nun zurück zu meiner Frage: Warum ist es nachts dunkel?

P.: Willst du mich verar... veralbern?

F.: Keinesfalls. Ich stelle mir halt nur vor, es scheinen doch Tausende oder Zehn-, nein Hunderttausende von Sternen auf uns herab, von allen Seiten und vom Einfluss der Wolken abgesehen jeden Augenblick, wie uns die Erde auch dreht. Warum schaffen die es nicht, den ganzen Himmel gleichmäßig zu erhellen?

P.: Im ersten Augenblick klingt es verblüffend. Es wird halt daran liegen, dass die näher gelegenen Sterne eben mehr Licht schicken als die entfernten?

F.: Ich will meine These etwas präzisieren. Stimmst du mit mir darüber überein, dass das Weltall als Ganzes genommen isotrop und homogen ist? Vereinfacht ausgedrückt: dass der Punkt im Weltall, an dem wir uns mit unserer Erde gerade befinden, prinzipiell vor keinem anderen Punkt ausgezeichnet ist. Dass jede Richtung, in die wir von hier aus blicken, im Prinzip ebenfalls durch nichts vor anderen ausgezeichnet ist. Und schließlich darin, dass die leuchtende Materie, im großen gesehen, den Weltraum gleichmäßig erfüllt?

P.: Ja wenn du dies so betrachtest, dann..... Es gibt zwar hier Sterne und dort riesige leere Räume, es gibt Sternhaufen und Sternsysteme - aber wenn du vom Weltraum im ganzen sprechen willst, so scheint mir die Annahme, es sei durchschnittlich gleichmäßig mit leuchtender Materie erfüllt, vernünftig zu sein.

F.: Bezeichnen wir die Zahl der Fixsterne, die in einer angenommenen Entfernung von uns - z.B. 10 pc - befinden, mit x. Wie groß ist die Zahl der Sterne, die gerade doppelt so weit, also 20 pc, entfernt sind? Da die Formel für Kugeloberfläche den Ausdruck r² enthält, ist die Kugelschale mit dem Radius 20 pc genau viermal so groß wie die mit dem Radius 10 pc. Die Zahl der Sterne nimmt also, wenn wir alle Richtungen zusammennehmen, im Quadrat der Entfernung zu. Andererseits nimmt die Strahlung, die wir empfangen, wie allgemein bekannt, im Quadrat der Entfernung ab - das ist nichts anderes als die Kehrseite der eben beschriebenen Gesetzmäßigkeit.

Die beiden Faktoren heben sich also gerade auf. Das heißt, wir empfangen aus jeder Entfernung die gleiche Menge an Strahlung und da wir die Schalen bis in Millionen Lichtjahre fortgesetzt denken dürfen, so addieren sich die empfangene Strahlung - und zwar nicht ins Unendliche, aber so lange, bis ein Stern den anderen verdeckt.

P.: Das kommt mir vor wie der berühmte Beweis, dass Archilles die Schildkröte niemals einholen kann. Man weiß nicht so recht, wie es zu widerlegen ist, aber man sieht sofort, stimmen kann das nicht.

F.: Ja ein echtes Paradoxon, aufgestellt vor 150 Jahren, von dem Bremer Arzt und Amateurastronomen Wilhelm Olbers, der unter anderem auch mehrere Kometen entdeckt hat. Auch Johannes Kepler und Edmond Halley haben schon darüber gegrübelt.

P.: Mann o Mann, sitze ich hier nichtsahnend bei einem Gläschen Wein und du kommst mit dem Olberschen Paradoxon an, kaschierst es und fragst einfach ganz unschuldig, warum ist es nachts dunkel? Gut. Vielleicht lässt es sich auf folgendem Wege auflösen. Dürfen wir uns die Kugelschalen wirklich bis in beliebige Entfernungen aneindergeschichtet denken, eine Zwiebel mit unendlichem Radius sozusagen? Es ist doch bekannt, dass die Sterne und auch die Sternsysteme ein endliches Alter haben. Irgendwo hört die Zwiebel also auf. Tatsächlich hat jemand ausgerechnet, dass es bei einem Alter der Welt in der Größenordnung von 15 Milliarden Jahren (die heutige Annahme) immer noch nicht genug Sterne gibt, um den von Olbers postulierten Tatbestand zu erfüllen.

F.: Mir ist noch aus anderem Grunde bei diesem Argument nicht ganz wohl. Verfallen wir Menschen nicht immer wieder in den Fehler, dass wir Dimensionen des Alls in Raum und Zeit von unserem engen Bereich aus beurteilen und damit zu kurz ansehen? Haben nicht die Menschen jahrhundertlang geglaubt (unter Berufung auf die Bibel), die Welt sei 6000 Jahre alt? Und dann in der Zeit von Lyell und Darwin einigte man sich auf 10000, dann einige 100000 Jahre, dann Millionen, und das war immer noch zu wenig. Haben wir nicht jahrhundertelang die Erde als Nabel der Welt gehalten, dann die Sonne, und bis ins 20. Jahrhundert hinein zumindest noch die Milchstraße? Ist es nicht ein ähnlicher Schluss, wenn wir jetzt meinen, das Weltganze sei nicht älter als die Sonne und ihre nähere kosmische Umgebung?

P.: Beachte bitte aber, dass nicht nur das Studium der Sonne und vieler anderer Sterne in unserer Milchstraße Werte von 15 Milliarden Jahren ergeben hat. Ähnliche Zahlen ergeben sich als Rückschluss auch aus der sogenannten Expansion des Weltalls. Vielleicht lässt sich aber gerade hieraus das Paradoxon noch von einer anderen Seite angreifen. Die Entfernungen innerhalb der Milchstraße scheinen zwar konstant. Aber die Entfernungen der fernen Nebel - wenn wir den Astronomen glauben dürfen -wachsen doch ununterbrochen an, bis zu unvorstellbaren Geschwindigkeiten. So entfernt sich der sogenannte Hydra-Haufen, mehr als zwei Milliarden Lichtjahre von uns entfernt, bereits mit 60000 km/s, und wenn wir die Reichweite unserer größten Teleskope verdoppeln würden, so wären wir bereits an der Grenze angelangt, wo sich die Galaxien mit Lichtgeschwindigkeit entfernen. Und von denen, die sich mit 30% oder 50% der Lichtgeschwindigkeit entfernen, dürfte das Licht zumindest stark geschwächt bei uns eintreffen. So könnte man Olbers mit dem Hinweis auf die Expansion widerlegen? Die Nacht ist dunkel, weil die fernen Lichtquellen von uns wegfliegen?

F.: Lehrt aber nicht Einstein, die Lichtgeschwindigkeit von 300000 km/s sei konstant in der Weise, dass sie von der Geschwindigkeit der Lichtquelle völlig unabhängig sei? Das bedeutet, dass das Licht einer Galaxie, die sich mit einer Geschwindigkeit von 180000 km/s von uns entfernt, bei uns mit unverminderter Geschwindigkeit von 300000 km/s eintrifft.

P.: Ja aber mit vermindeter Energie! Und doch - mir schwankt der Boden unter den Füßen und nicht nur vom Wein. Olbers glaubte doch selbst, dass der Schlüssel zu seiner Rätselfrage bei der interstellaren Materie liege, die bekanntermaßen nicht nur Licht streut, sondern auch schluckt. Ich glaube, hätte Olbers nicht nur an Lichtstrahlung gedacht, sondern auch die anderen Frequenzen wie Radiowellen und Röntgenstrahlen mit berücksichtigt, sie waren damals nur noch nicht bekannt, dann hätten seine Betrachtungen ganz andere Richtungen aufgezeigt. Aber das sind Fragen, die die heutige Kosmologie noch nicht vollkommen erklärt. Lassen wir es bitte nun dabei bewenden, dass es nachts dunkler ist als draussen. Einverstanden?

F.: Einverstanden. Trotzdem, warum ist es nachts dunkel?



Autor:   Wolf Zimmer      E-Mail: wozim@t-online.de
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